Tschechien: Geschichte

An dieser Stelle sollen die wichtigsten historischen Fakten, und zwar soweit wie möglich mit Zahlen unterlegt, vorgestellt werden, um einen Überblick über die historische Entwicklung dieses Landes bis in die Gegenwart hinein zu erhalten.

Vor dem Jahr 1000

Die ersten Vertreter des Homo sapiens traten im heutigen Mitteleuropa vermutlich vor ca. 40.000 Jahren in Erscheinung. Sie waren mit großer Wahrscheinlichkeit aus Afrika eingewandert, wo es den Homo sapiens wahrscheinlich bereits vor 190.000 Jahren gab. Aber vor etwa 200.000 bis vor ca. 30.000 Jahren lebte der Neandertaler, der aber nicht als Vorfahre des heutigen Menschen gilt.
In den folgenden Jahrtausenden entwickelten sich verschiedene Kulturen, z.B. die keltische La-Tène-Kultur und eine germanische Kultur im Norden. Gräberfunde, Steinwerkzeuge, Keramikreste und Höhlenmalereien zeugen davon. In der jüngeren Eisenzeit, die etwa von 450 v.Chr. bis ca. 30 v.Chr. dauerte, drangen die Germanen ins keltische Gebiet ein. In der Folgezeit herrschten in einem großen Teil des heutigen Mitteleuropas die Germanen.

Mähren
Mähren, tschechisch Morava, bezeichnet das historische Gebiet zwischen Böhmen und der Slowakei. Es war bis ins 1. Jh. v.Chr. von Kelten besiedelt. Anschließend lebten hier germanische Stämme, wie die Heruler und die Langobarden, die im 6. Jh. von slawischen Stämmen vertrieben wurden. Im 9. Jh. entstand das Großmährische Reich, das 906/07 von den Magyaren (Ungarn) zerstört wurde.

Böhmen
Böhmen, das heutige Kernland der Tschechischen Republik, war seit dem 5. Jahrtausend v.Chr. von den so genannten Bandkeramikern bewohnt. Im 2. Jahrtausend v.Chr. wurde es einer der wichtigsten Lebensräume Europas. Um 500 v.Chr. kam es zur Keltisierung. Die keltischen Boiern gaben dem Gebiet seinen Namen - lat. Boiohaemum. Sie verließen die Region um 60 v.Chr., in der Folgezeit bis ins 6. Jh. n.Chr. war Böhmen von den Germanen besiedelt. Ende des 6. Jh. wanderten slawische Stämme aus dem Nordosten ein. Nachdem Karl der Große (747-814) die Awaren besiegt hatte, wurden diese Stämme um 805 in das christliche Europa eingefügt, sie wurden gegenüber dem Frankenreich tributpflichtig. Im 9. Jh. geriet Böhmen unter die Herrschaft des Großmährischen Reiches.

Unter dem Geschlecht der Premysliden errang der um Prag siedelnde Stamm der Tschechen im 9.-10. Jh. die Führung über die anderen westslawischen Stämme und gab diesen seinen Namen. Trotz wechselnder Abhängigkeiten konnte Böhmen im Mittelalter weitgehend Unabhängigkeit bewahren. 973 errichtete Boleslaw II. das Bistum Prag.

Vom Jahr 1000 bis zum 17. Jahrhundert

Böhmen entwickelte sich unter der Förderung der Premysliden rasch. Im 13. Jh. kam es zu einer großen Einwanderungswelle deutscher Handwerker, Bauern und Bergleute - neue Städte wurden nach deutschem Recht gegründet. Gold- und Silbervorkommen vermehrten den Reichtum des Landes. Mit Wenzel III. (1289-1306) starben die Premysliden dann aus und Böhmen fiel an Johann von Luxemburg (1296-1346). Dessen Sohn Karl I. (1316-78), als Römischer Kaiser Karl IV., regierte von Böhmen aus und führte das Gebiet in eine Blütezeit. Böhmen, Mähren, die Ober- und Niederlausitz sowie die schlesischen Fürstentümer wurden als Länder der böhmischen Krone zusammengefasst. 1344 wurde das Bistum Prag zum Erzbistum ernannt, 1348 gründete Karl I. die erste Universität in Prag, die gleichzeitig die älteste des Reiches und damit, der Meinung vieler Historiker nach, auch die erste deutsche Universität war. Das allerdings ist nicht unumstritten, da es zu dieser Zeit ein Deutschland nicht gab und die Universitätssprache Lateinisch war. Im Jahr 1356 wurde in der Goldenen Bulle dem König der Böhmen die Vorrangstellung unter den weltlichen Kurfürsten eingeräumt.

Unter Wenzel IV. (1361-1419) kam es zum Niedergang der böhmischen Macht. In den Hussitenkriegen, die sich gegen die v.a. aus Deutschen bestehenden wohlhabenden Schichten richteten, erstarkte das tschechische Nationalbewusstsein. Im 16. Jh. begann die Herrschaft der Habsburger, gleichzeitig kam es zu einer erneuten Einwanderungswelle von Deutschen. Die größtenteils lutherische Religionszugehörigkeit trug zu ausgeprägten Glaubenskonflikten zwischen Katholiken und Protestanten bei. Anlässlich einer Tagung der protestantischen Stände in Prag führte der "Zweite Prager Fenstersturz" zu einem Aufstand des protestantischen Adels gegen die katholisch-habsburgische Landesherrschaft, der im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) endete.

1620 siegte der Kaiser in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag. Absolutismus und Gegenreformation setzten sich in der Folgezeit durch, Protestanten wanderten aus und die Bauern wurden zur Annahme des Katholizismus gezwungen. Die aufstrebenden Schichten, die Böhmen umgestalteten und zum Teil aus dem Ausland kamen, wandten sich der deutschen Sprache zu, Tschechisch wurde als Literatursprache nicht mehr verwendet.

Im 18. und 19. Jahrhundert

1749 wurde in der Staatsreform der Kaiserin Maria Theresias (1717-1780) die staatsrechtliche Einheit der Länder der böhmischen Krone aufgehoben. Böhmen wurde den Wiener Zentralbehörden unterstellt. Das Bildungssystem wurde reformiert, wobei die deutsche Sprache weiterhin entscheidend begünstigt wurde. Außerdem wurden die Binnenzölle und die Leibeigenschaft abgeschafft.

Das tschechische Nationalbewusstsein wiedererwachte. Die Slawisten P.J. Safarik und J. Kollar vermittelten von Jena aus die Idee des nationalen Aufbruchs, die tschechische Geschichte wurde zum Gegenbild der deutschen Geschichte verklärt. Auch die im 18. Jh. begonnene Industrialisierung der deutsch-böhmischen Gebiete förderten das Nationalbewusstsein der Tschechen. Die böhmische Region wurde zum industriellen Zentrum der Habsburger Monarchie. Soziale Ungleichheiten führten zu Unruhen unter den Arbeitern und Bauern und gipfelten in der Revolution vom März 1948, deren Zentrum in Prag lag. Von nun verkündeten die tschechisch- und die deutschsprachigen Bevölkerungsteile verschiedene nationale Programme. So lehnten die Tschechen die Teilnahme an der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt ab. Sie forderten einen eigenen tschechischen Staat. Zwischen 1864 und 1868 bildeten sich die getrennten nationalen Großbanken heraus, die Prager Universität trennte sich in eine tschechisch- und eine deutschsprachige Institution. 1880 wurde die Doppelsprachigkeit der Gerichte eingeführt. Verschiedene Versuche der österreichisch-ungarischen Reichsregierung, zwischen den Parteien zu vermitteln, scheiterten.

Im 20. Jahrhundert

Staatsgründung
1907 löste die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes das bisher bestehende Privilegienwahlrecht ab. Dadurch wurde die tschechische Bevölkerung begünstigt, die inzwischen eine eigenständige Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur entwickelte hatte. Der böhmische Landtag wurde wegen der Mehrheitsverhältnisse teilweise arbeitsunfähig. Aus diesem Grund suspendierte die österreichisch-ungarische Reichsregierung die böhmische Landesverfassung im Jahr 1913 und hob die böhmische Autonomie auf.

Während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) wurde Böhmen durch Ausnahmezustand regiert. 1915 wurde ein tschechoslowakischer Nationalrat einberufen. Ihm waren die tschechischen Militärkräfte unterstellt, die an der Seite der Entente gegen die Mittelmächte kämpften. Am 30. Mai 1918 schloss Tomáš Garrigue Masaryk (1850-1937) mit Vertretern der slowakischen Emigration in den USA den Vertrag von Pittsburgh über den staatlichen Zusammenschluss der tschechischen und slowakischen Nation. Am 28. Oktober 1918 wurde die Tschechoslowakei gegründet, deren erster Staatspräsident Masaryk war. In den tschechisch besiedelten Gebieten Böhmens und Mährens setzte sich die neue Regierung unmittelbar nach der Staatsgründung durch, in den Deutsch-sprechenden Randgebieten (Sudetenländer) erst nach militärischen Auseinandersetzungen im Winter 1918/19. Ab 1919 gehörten zur Tschechoslowakei Böhmen, Mähren, die Slowakei, Karpaten-Russland und das Hultschiner Ländchen. In dem Vielnationalitätenstaat lebten nunmehr Tschechen, Slowaken, Sudetendeutsche, Ungarn, Polen und Ukrainer.

Die 1920er und 1930er Jahre
Am 29. Februar 1920 wurde eine republikanische, parlamentarisch-demokratische Verfassung verabschiedet. Die Regierung bemühte sich, über einen strengen Zentralismus die Bindung zwischen Tschechen und Slowaken zu festigen. Dies stieß auf Widerstand der slowakischen Autonomiebewegung, die darin einen Bruch früherer Versprechen auf eine eigene slowakische Amtssprache, ein eigenes Parlament und ein eigenes Gerichtswesen sah. Auch die anderen Minderheiten im Land fühlten sich gegenüber den Tschechen zunehmend benachteiligt, was neben den unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Konzepten letztlich zur Entstehung einer breitgefächerten Parteienlandschaft in der Tschechoslowakei führte.

Nach einem kurzzeitlichen Aufschwung folgte der wirtschaftliche Rückgang ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise von 1929. Arbeitslosigkeit und Armut nahmen selbst in den Industrieregionen zu. Außenpolitisch war die Tschechoslowakei durch das tschechoslowakisch-französische Bündnis von 1924 in das europäische Sicherheitssystem der Franzosen eingebunden. 1935 schlossen die Tschechen angesichts der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland einen Beistandspakt mit der Sowjetunion. Dennoch geriet die Tschechoslowakei vor allem von 1937 an durch die aggressive Expansionspolitik Hitlers zunehmend unter Druck. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) unter Führung von Konrad Henlein (1898-1945) ließ sich von den Nationalsozialisten instrumentalisieren, die nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 die Übernahme der Sudetenländer forderten (Sudetenkrise April bis September 1938). Im Münchener Abkommen vom 29. September 1938 gaben Frankreich und Großbritannien auf Vermittlung Italiens, jedoch ohne Mitwirkung der Tschechen, den deutschen Forderungen nach - die Tschechoslowakei musste die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland abtreten. Im November 1938 erhielten die Slowakei und die Karpato-Ukraine auf Druck Autonomierechte. Trotzdem erklärte die Slowakei am 14. März 1939 ihre Unabhängigkeit. Einen Tag später besetzten deutsche Truppen das verbliebene tschechische Staatsgebiet, das (Reichs)Protektorat Böhmen und Mähren wurde errichtet. Zwar sah der Protektoratsvertrag eine beschränkte Selbstverwaltung Tschechiens vor, in der Realität hatte die Protektoratsregierung jedoch keinen Einfluss auf wichtige Entscheidungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg
Anfang Mai 1945 kehrte die Exil-Regierung von Edvard Beneš (1884-1948) nach Prag zurück und die Souveränität der Tschechoslowakei war theoretisch wiederhergestellt. Die Tschechen verzichteten auf die Karpato-Ukraine zugunsten der Sowjetunion. 1946/46 kam es zu einer großen Vertreibungswelle der Sudetendeutschen aus ihren Heimatgebieten. Edvard Beneš wurde 1946 zum Staatspräsidenten gewählt. Die Kommunisten errangen einen Wahlsieg und stellten nunmehr den Ministerpräsidenten im Land. In der Folgezeit wurden die Industrie sowie das Bank- und Versicherungswesen verstaatlicht. Der Besitz der vertriebenen Sudetendeutschen und der tschechischen und slowakischen "Kollaborateure" der Nationalsozialistischen Zeit wurde beschlagnahmt.

Außenpolitisch kam es zur Annäherung an die Sowjetunion. 1948 übernahm die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KP) die alleinige Regierungsverantwortung. Die Tschechoslowakei wurde eine so genannte Volksdemokratie, in der die Kommunistische Partei zunehmend einen Alleinführungsanspruch besaß. Anfang der 1959er Jahre wurden Schauprozesse geführt, in denen prominente KP-Mitglieder wie Rudolf Slansky (1901-1952) wegen angeblicher "titoistischer und zionistischer Umtriebe" zum Tode oder langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die Landwirtschaft wurde kollektiviert und die Tschechoslowakei trat dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) sowie dem Warschauer Pakt bei.

"Prager Frühling"
In den 1960er Jahren wuchs die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Wirtschaftspolitik im Land. Im Januar 1968 gewann eine Gruppe von Reformern um Alexander Dubček (1921-1992) im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei die Mehrheit und setzte die Wahl Dubček zum Generalsekretär der Partei und des Generals Ludvík Svoboda (1895-1979) zum Staatspräsidenten durch. Die neue Führung hatte den Anspruch, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu verwirklichen, auch "Prager Frühling" genannt. Die Idee war es, nach dem "Neuen Ökonomischen Modell" marktwirtschaftliche Elemente mit der staatlichen Wirtschaftsplanung im Sinne einer sozialistischen Marktwirtschaft zu verbinden. Die Spannungen zwischen der Zentralregierung und der Slowakei sollten abgebaut werden.

Politisch gestützt auf den Grundsatz von der beschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten intervenierte die Sowjetunion. Am 21. August 1968 marschierten Truppen des Warschauer Pakts mit Ausnahme Rumäniens in die Tschechoslowakei ein. Die Reformen waren somit gescheitert. Lediglich die Bildung der Teilrepubliken Tschechische Sozialistische Republik und Slowakische Sozialistische Republik unter der Gesamtrepublik Tschechische und Slowakische Föderative Republik (ČSR, ČSSR oder ČSFR) am 1. Januar 1969 fand statt. Die Reformer wurden ihrer Ämter enthoben. Das Scheitern des Prager Frühlings wurde von Reformkräften in ganz Europa mit Trauer und Entsetzen aufgenommen.

Die "sanfte Revolution"
Nach 1975 entwickelte sich unter dem Einfluss der Schlussakte von Helsinki in der Tschechischen Sozialistischen Republik die Bürgerrechtsbewegung Charta 77, deren Sprecher u.a. Vaclav Havel (geb. 1936) war. Durch Verhaftungen und Repressalien versuchte die Partei- und Staatsführung die Bewegung zu unterdrücken, die jedoch ab 1980 durch die Solidarnosc-Bewegung in Polen und schließlich durch den von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion eingeleiteten Reformprozess (Glasnost) entscheidenden Auftrieb erhielt. Im November 1989 erzwang das neu gegründete Bürgerforum durch die Organisation von friedlichen Massendemonstrationen und einen Generalstreik den Verzicht der Kommunistischen Partei auf ihre Führungsrolle im Staat. Im Dezember 1989 wurde Vaclav Havel zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei gewählt und blieb bis zum Jahr 1992 in diesem Amt. Von 1993 bis 2003 war er dann Präsident der Tschechischen Republik.

Am 1. Januar 1993 trennten sich Tschechen und Slowaken endgültig - die ČSFR wurde in die Tschechische und die Slowakische Republik aufgelöst. Die Trennung erfolgte friedlich, wenn auch nicht ohne erhebliche gegenseitigen Verletzungen. Seit dem 1. Mai 2004 sind beide Länder Mitglied der EU und das Verhältnis beider Länder kann als freundlich und harmonisch bezeichnet werden.
Seit 2003 ist Václav Klaus (geb. 1941) Präsident des Landes. Seine Amtsperiode endete im Jahr 2008. Am 15. Februar 2008 wurde er nach mehreren Wahlgängen zum zweiten Mal zum Staatspräsdenten Tschechiens gewählt.

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