Bakterienruhr

Bei der bakteriellen Ruhr (althochdeutsch (h)ruora = heftige Bewegung, Unruhe), auch einfach nur Ruhr, Dysenterie (griech. Durchfall) oder nach ihren Erregern Shigellose genannt, handelt es sich um eine mit heftigen Durchfällen verbundene infektiöse Darmerkrankung.
Sie ist in Deutschland meldepflichtig.

Name der Erkrankung Bakterielle Ruhr
Weitere Bezeichnungen Ruhr, Dysenterie, Shigellose
Unterformen
Vorkommen/Häufigkeit weltweit Schätzungen zufolge gibt es 165 Millionen Infizierte, mit jährlich ca. 1,1 Millionen Todesfällen
Ursachen Infektion mit Bakterien
Erreger Shigella (Shigella dysenteriae, Shigella flexneri, Shigella boydii, Shigella sonnei)
Familie Enterobacteriaceae
Übertragungsweg Übertragung von Mensch zu Mensch (Hautkontakt)
Nahrungsmittel
Trinkwasser
Fliegen
Risikofaktoren, Risikogruppen Schwangere
Kinder
HIV-Infizierte
Inkubationszeit zwei bis fünf Tage
Krankheitszeichen (Symptome) Übelkeit, Erbrechen, zunächst wässriger Durchfall, später schleimig-blutiger Durchfall, Bauchschmerzen, schmerzhafte Stuhlentleerungen, Fieber
Komplikationen starke Flüssigkeits- und Elektrolytverluste mit Herz-Kreislauf- und Nierenversagen, massive Darmblutungen, Bauchfellentzündung
Diagnose Nachweis der Erreger im Stuhl
Therapie Behandlung der akuten Symptome (Flüssigkeitszufuhr, Bettruhe, leichte Kost)
Antibiotika (z.B. Ampicillin, Cotrimoxazol)
Verlauf, Prognose dauert unbehandelt ein bis zwei Wochen
Komplikationen können zum Tod führen, bei adäquater Therapie ist eine schnelle Heilung möglich
Vorsichtsmaßnahmen (Prophylaxe) hygienische Maßnahmen (Trinkwasseraufbereitung, sanitäre Anlagen)
Isolierung von Erkrankten und Kontaktpersonen
Fliegenbekämpfung

Ursachen/Erreger
Ursache für eine bakterielle Ruhr ist eine Infektion mit Shigellen.
Shigellen (Shigella) gehören zur Familie der Enterobacteriaceae. Hierbei handelt es sich um stabförmige Bakterien, die natürlicherweise im Darmtrakt von Mensch und Tier vorkommen. Shigellen werden in vier Unterarten unterteilt: Shigella dysenteriae, Shigella flexneri, Shigella boydii und Shigella sonnei. Alle Shigellen-Arten verursachen beim Menschen Krankheiten.
Ihren Namen verdankt die Gattung Shigella dem japanischen Bakteriologen Kiyoshi Shiga (1870-1957), der im Jahre 1898 das zur Gruppe Shigella dysenteriae gehörende Shiga-Kruse-Bakterium entdeckte.

Übertragungs- bzw. Ansteckungswege
Infektionsquelle für den Erreger der bakteriellen Ruhr ist grundsätzlich der Mensch. Vor allem Erkrankte scheiden die Bakterien in großen Mengen mit dem Stuhl aus. Mitunter bleiben Personen, die eine Ruhrinfektion überstanden haben, noch über mehrere Jahre Dauerausscheider, ohne dass sie selbst unter Symptomen leiden.
Die Übertragung der Erreger erfolgt in vielen Fällen durch direkten Hautkontakt von Mensch zu Mensch (z.B. ungewaschene Hände nach dem Toilettengang). Ein enges Zusammenleben unter schlechten hygienischen Verhältnissen fördert die Ausbreitung der Infektion. Auch die indirekte Übertragung über verunreinigtes Trinkwasser bzw. Lebensmittel oder über Fliegen ist möglich.
Shigellen gelangen über den Mund in die Verdauungswege und dringen in die Schleimhaut des Dickdarms ein. Durch die Absonderung eines bestimmten Giftstoffes, Shigatoxin genannt, schädigen sie die Zellen in der Darmschleimhaut. Auf diese Weise verursachen die Bakterien geschwürige Veränderungen, die zu schweren Störungen der Darmfunktion führen.

Inkubationszeit
Die Inkubationszeit, d.h. die Zeit zwischen dem Beginn der Infektion (Aufnahme der Bakterien) und dem Auftreten von Krankheitszeichen, dauert bei der bakteriellen Ruhr zwei bis fünf Tage.

Krankheitszeichen (Symptome)
Die Erkrankung beginnt mit Übelkeit, Erbrechen und wässrigen Durchfällen. Im weiteren Verlauf treten Fieber, krampfartige Bauchschmerzen und schmerzhafte Stuhlentleerungen auf. Der Durchfall wird dann schleimig-blutig, auch Eiter kann beigemengt sein. Der starke Flüssigkeitsverlust führt zur Austrocknung und zu Veränderungen im Elektrolythaushalt der Betroffenen.

Diagnose
Die Shigellen können im Stuhl von Infizierten nachgewiesen werden.

Therapie
Die Patienten sind durch die massiven Durchfälle in der Regel geschwächt und benötigen Bettruhe und Wärme. Behandelt werden müssen die Symptome, die durch den Wasser- und Elektrolytverlust entstehen. Da die Patienten meist nicht ausreichend trinken können, wird ihnen Flüssigkeit in Form von Infusionen über eine Vene zugeführt. Um den Darm nicht zusätzlich zu belasten, sollten die Betroffenen nur leichte Kost (z.B. Weißbrot, Zwieback, Bananen) zu sich nehmen.
Die Infektion selbst kann mit Antibiotika (z.B. Fluorchinolone, Ampicillin, Cotrimoxazol) behandelt werden.
Bei schweren Durchfällen können unter Umständen Stopfmittel, sog. Obstipantien, wie Mucilaginosa, tanninhaltige Präparate oder medizinische Kohle angewendet werden. Dies bedarf jedoch der ärztlichen Kontrolle und sollte in jedem Fall nur eine vorübergehende Maßnahme sein.

Verlauf, Prognose
Unbehandelt dauert die Erkrankung ein bis zwei Wochen. Durch den starken Flüssigkeits- und Elektrolytverlust können schwerwiegende Komplikationen bis hin zum akuten Herzkreislauf- oder Nierenversagen auftreten. Allergische Begleiterkrankungen wie Gelenkentzündungen (Arthritis) sind möglich. Darüber hinaus kommt es mitunter durch die Schädigung der Darmwand zu massiven Blutungen oder einem lebensbedrohlichen Durchbruch der Darmwand mit nachfolgender Entzündung des Bauchfells (Peritonitis).
Werden die Symptome schnell und ausreichend behandelt, lassen sich schwerwiegende Komplikationen in der Mehrzahl der Fälle vermeiden.

Vorkommen, Häufigkeit
Die bakterielle Ruhr ist weltweit verbreitet. Besonders in Entwicklungsländern, Krisengebieten und nach Naturkatastrophen werden immer wieder größere Ausbrüche der Krankheit beobachtet. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sind weltweit fast 165 Millionen Menschen mit Shigellen infiziert, von denen etwa 1,5 Millionen in Industrieländern und alle anderen in Entwicklungsländern leben. Jährlich sterben ca. 1,1 Millionen Menschen an den Folgen der Erkrankung.

Risikofaktoren/Risikogruppen

  • Schwangere
    Während der Schwangerschaft ist eine Erkrankung mit Bakterienruhr besonders problematisch. Der hohe Flüssigkeitsverlust und die Veränderungen im Elektrolythaushalt bergen sowohl für die Schwangere als auch für das ungeborene Kind große Risiken. Entwicklungsstörungen des Kindes sowie Tod-, Fehl- oder Frühgeburten können bei ungenügender Behandlung der Symptome auftreten.
  • Kinder
    Beobachtungen zufolge erkranken kleinere Kinder besonders häufig an der bakteriellen Ruhr. So sind in Entwicklungsländern etwa 69% der infizierten Kinder unter fünf Jahre alt. Darüber hinaus entstehen bei Kindern durch die Erkrankung schnell lebensbedrohliche Komplikationen - ca. 61% der Todesfälle durch eine Bakterienruhr betreffen Kinder unter fünf Jahren.
  • HIV-Infizierte
    In Entwicklungsländern wird die bakterielle Ruhr zunehmend in Verbindung mit HIV-Infektionen beobachtet. Unter HIV-Infizierten treten - wahrscheinlich als Folge der geschwächten Immunabwehr - häufiger schwere Komplikationen der Durchfallerkrankung auf als unter ansonsten gesunden Personen. HIV scheint darüber hinaus die Ausbreitung der Shigellen zu begünstigen.
  • Rucksackreisende
    Reisende, die auf eigene Faust in Ländern mit hohen Erkrankungsraten an bakterieller Ruhr unterwegs sind, haben ein besonderes Risiko für die Infektion. Spezielle Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit Lebensmitteln und Getränken sind deshalb ratsam.

Impfungen
Verschiedene Impfstoffe gegen die Erreger der Bakterienruhr befinden sich derzeit in der klinischen Erprobung.

Expositionsprophylaxe
  • Hygienische Maßnahmen
    Um die Verbreitung der bakteriellen Ruhr einzudämmen, sind in erster Linie hygienische Maßnahmen notwendig. So können Gewässer durch den Bau sauberer sanitärer Einrichtungen von menschlichen Ausscheidungen freigehalten und Trinkwasser durch Aufbereitungsanlagen gereinigt werden. Kranke und ihre Angehörigen sollten vorübergehend isoliert werden, um den Kontakt zu Nicht-Infizierten zu vermeiden.
  • Fliegenschutz
    Wirkungsvolle Mittel zum Schutz vor Fliegen in Räumen mit Lebensmitteln sind Fliegengitter vor sämtlichen Raumöffnungen sowie Insektizide (Räucherspiralen, Insektizidverdampfer, Insektensprays).
Chemoprophylaxe
Eine medikamentöse Vorbeugung von Infektionen mit Shigellen ist derzeit nicht möglich. Naturheilkundliche Vorsichtsmaßnahmen, Ernährung

Vorsichtsmaßnahmen
Die Erreger der Bakterienruhr werden häufig auch durch verunreinigte Nahrungsmittel (v.a. Milchprodukte) und Trinkwasser übertragen. Aus diesem Grund können Reisenden in entsprechende Risikogebiete zum Schutz vor einer Infektion folgende hygienische Maßnahmen empfohlen werden:

  • Vor dem Essen grundsätzlich die Hände mit abgekochtem Wasser waschen.
  • Rohes Obst und Gemüse vor dem Verzehr am besten gründlich mit abgekochtem Wasser waschen bzw. schälen.
  • Alle Speisen gut garen. Auf den Genuss von rohem Fleisch (z.B. Tatar) oder rohen Meeresfrüchten möglichst verzichten.
  • Wasser - auch Leitungswasser - vor dem Trinken abkochen, mit entsprechenden Mitteln entgiften oder durch Filtration reinigen. Milch sollte nie ungekocht getrunken werden. Unproblematisch sind frisch gekochter Tee oder Kaffee und alle kohlensäurehaltigen Getränke aus industriegeschlossenen Behältern (z.B. Cola- oder Wasserflaschen, Dosen). Allerdings ist beim Kauf von Wasserflaschen auf den Originalverschluss zu achten, da die Flaschen in manchen Ländern nach ihrem Erstgebrauch nicht selten mit Leitungswasser wieder aufgefüllt werden. Vorsicht vor dem Genuss von Eiswürfeln - sie können mit Bakterien kontaminiert sein.

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