Jugendstil

Einleitende Übersicht
Die Epoche des Jugendstils findet ihren deutschen Ursprung im Jahr 1894, fast ohne erkennbare Vorstufe, in München. Stilgeschichtlich kann man den Jugendstil zwischen vorangehendem Historismus und der Moderne festmachen.
Die sehr kurze Zeitspanne des Jugendstils, und zwar von 1894 bis 1914, ändert jedoch nichts an seiner kunsthistorischen Wertigkeit. Leitmotiv des Jugendstils ist die Schwingung, die sich vorwiegend in Ornament und Flächendekoration ausdrückt.


Der Schwerpunkt dieser Kunstrichtung lässt sich im so genannten Kunsthandwerk festmachen. Möbel, Tapeten, Teppiche, Innenräume bis hin zur Gesamtarchitektur wurden im Sinne des Jugendstils entworfen. Auch die Graphik auf Plakaten und im Buchdruck wird in dieser Zeit von der dekorativen Ornamentik bestimmt. Man unterscheidet in der Gestaltung des Ornaments eine geometrische Richtung, besonders in der Graphik vorherrschend, und eine florale Richtung, die auch solch zweckgebundenen Designobjekten wie Möbeln, das Aussehen von Pflanzengebilden verleiht.

Während der Epoche des Jugendstils galt es als Ziel, die Unterschiede der einzelnen Kunstgattungen aufzuheben und sie gleichartig, nämlich ornamental zu behandeln. Typisch für diese dekorative Kunstrichtung ist die Grenzüberschreitung von Kunst und Handwerk zum Kunsthandwerk. Auch das örtliche Auftreten des Jugendstils war grenzüberschreitend. Im gesamten Abendland findet sich die Stilrichtung des dekorativen Kunsthandwerks wieder. International setzte sich zur Zeit der Jahrhundertwende eine Elite von Künstlern für den neuen Stil ein, der seinen Schwerpunkt auf schöne Wirkung und Stimmung sowie Oberflächengestaltung legt. Im Gegensatz zur Schnelllebigkeit und der einfachen Produktion zur Zeit der Industrialisierung, steht der Jugendstil mit seinem hochwertigen Kunsthandwerk. Im 19.Jahrhundert fand das Kunstgewerbe in ganz Europa großen Anklang. Es wurden Kunsthandwerkschulen sowie Museen gegründet und man erhob das Kunsthandwerk allgemein zur Konkurrenz der Industriefertigung.

Während sich in Deutschland der Name Jugendstil nach der 1896 gegründeten Zeitschrift Jugend durchsetzte, wird der internationale Stil in den USA und England, wo er seinen Ursprung fand, Modern style genannt. In Frankreich findet sich der Name Art nouveau und in Österreich bezeichnet man die Kunstrichtung mit Sezzesionsstil. Doch all diese Namen benennen ein und die gleiche Kunstgattung. Auffällig für die Stilepoche des Jugendstils sind die zahlreichen Ausstellungen und gegründeten Zeitschriften. Keine andere Kunstrichtung vor dem 20.Jahrhundert hat sich in so vielen Bereichen der Bewunderung hingegeben. Man spricht in diesem Sinn auch vom Exhibitionismus des Art nouveau.

Bedeutende Vertreter aus Deutschland
Die Künstler des Jugendstils versuchten vor allem eine eigene neue Form gestalterischer Schönheit zu entwickeln. Sie wendeten sich gegen die verbrauchte Kunstauffassung, die sich deutlich im vorangehenden Historismus ausmachte und suchten nach einem eigenen, neuartigen Stil. Dieser Wille zur Kunst und einer neuen Ausdrucksmöglichkeit führte schließlich zum Jugendstil.

Als Wegbereiter des neuen Stils gilt der Engländer William Morris (1834-1896). Der Kunsthandwerker und (Kunst)Schriftsteller gründete Werkstätten für Möbel, Gläser, Kacheln, Bildteppiche und Tapeten. Morris galt folgend als Leitfigur des Jugendstils. Eine ähnliche Funktion hatte Charles Rennie Mackintosh (1868-1928) in Glasgow, Schottland. Der Katalane Antonio Gaudi (1852-1926) erlangte einen überragenden Rang als Baumeister des neuen Stils in Barcelona. Seine bewegte, wellig-skulpturale Architektur erinnern an lebendige Organismen und an verfremdete Naturformen. Weitere bedeutende Architekten des Jugendstils sind Hector Guimard (1867-1942), der in Paris tätig war, der Amerikaner Louis H. Sullivan (1856-1924) sowie die beiden Brüsseler Architekten Victor Horta (1861-1947) und Paul Hankar (1861-1901). In Wien galten Otto Wagner (1841-) und Josef Hoffmann (1870-1956) als herausragende Vertreter der Sezessionsarchitektur.
Der Schmuck- und Glaskünstler Rene Lalique (1860-1945) erreichte in Paris großes Ansehen, während Emile Galle (1846-1904), ebenfalls für die Gestaltung von Glaskunst bekannt, in Nancy zu Ruhm kam. Louis C. Tiffany (1848-1933) wurde in Amerika besonders durch seine Entwürfe für Schmuck, Lampen und seine ornamentreichen Vasen bekannt.

In der Graphik und Malerei wurde vor allem der französische Maler Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) zu einer Stilikone des Jugendstils. Neben ihm gaben auch der Engländer Beardsley (1872-1894) und der Tscheche Mucha (1860-1939) neue Impulse im Bereich der Malerei und Graphik. Auch Aristide Maillol (1861-1944) betätigte sich im Bereich der Graphik sowie als Bildhauer. Beispielhaft sind seine Illustrationen zu antiken Dichtungen. Der belgische Maler, Architekt und Kunstschriftsteller Henry van de Velde (1863-1957) gilt als führender Künstler des Jugendstils. Er fertigte für buchstäblich alles Entwürfe an, von Malerei über Graphik und Buchschmuck zur Schrift, zum Plakat, zur Warenpackung für industrielle Produkte, Muster für Tapeten, Stoffe, Teppiche und Damenkleider, Fensterverglasungen, Möbel und ganze Raumensembles, Geschirr, Besteck, Lampen, Schmuck und vieles mehr. Gustav Klimt (1862-1918) verkörperte mit seinen Gemälden den Charakter des Jugendstils am deutlichsten. Der österreichische Maler besticht durch kühne Ornamentik verbunden mit figürlicher Darstellung. Im Jahr 1905 erklärte der avantgardistische Maler seinen Austritt aus der Sezession, dem österreichischen Jugendstil, deren Stil er vorbildlich vertreten hatte. Zu den deutschen Künstlern des Jugendstils gehören vor allem Peter Behrens (1868-1940), Maler, Architekt und Kunstgewerbler sowie der Maler und Bildhauer Hermann Obrist (1863-1927) und der Gestalter August Endell (1871-1925).

Stilprägende Bauten
Die Architektur des Jugendstils, die rein künstlerische Bestrebungen aufweist, findet sich in erster Linie in meist repräsentativen Villen und Wohnhäusern einer vermögenden Minderheit wieder. Ein Anliegen des Jugendstils war es, Leben und Kunst miteinander in Einklang zu bringen. Auf dem Gebiet der Wohnhausarchitektur äußerte sich dieser Aspekt in harmonischer und naturgemäßer Nützlichkeit. In diesem Sinne eignete sich der Bau von vornehmen Villen und Häusern für eine Oberschicht vortrefflich, da sie den künstlerischen Wert dieser neuen Stilrichtung im besonderen Maße zu schätzen wusste. Als Beispiel lässt sich das Prinzessinnenhaus im Park von Wolfsgarten in Hessen anführen, das der Großherzog im Jahr 1902 für seine Töchter bauen ließ. Hier treten das Jugendliche, harmonisch Naturnahe, Naive und Freundliche als Wesensmerkmale des Jugendstils besonders deutlich hervor.

Die Jugendstilarchitektur war nicht für die breite Masse bestimmt. Sie diente in erster Linie künstlerischen, nicht funktionalen Zwecken. Trotzdem verwirklichten nur wenige Architekten den Jugendstil in ihren Bauten konsequent. Meist wurden nur die Fassaden der Gebäude mit Jugendstilornamenten versehen.

Antonio Gaudi ist einer der wenigen Architekten, dessen Werke völlig von Elementen des Jugendstils durchdrungen sind. Beispielhaft dafür ist das 1906 fertiggestellte Wohnhaus Casa Battlo in Barcelona. Die Fenstergliederungen, Balkonbrüstungen und dekorativen Elemente der Fassade wirken auf den Betrachter wie Sehnen, Haut und Knochen eines organischen Körpers. Neben der Casa Battlo sind noch die Casa Mila, die unvollendete Kathedrale Sagrada Familia und der Park Güell in Barcelona als wichtige Jugendstilbauten zu nennen.

In Paris um das Jahr 1900 wurden zahlreiche Wohnhäuser, Villen, Restaurants, Theater, Bahnhöfe, Festsäle und Geschäfte in dem neuen Stil gebaut. Hier überwog die florale Ausgestaltung der Ornamentik. Der Architekt Hector Guimard entwarf zwischen 1899 und 1913 die reich verzierten Eingänge der Pariser Metro. Sie weisen die floralen Ornamente aus den Materialien Glas und Stahl, den beliebten Bauelementen der Jugendstilarchitektur, auf. Der organische Schwung des Stahls, der an Grashalme, Zweige und Ranken erinnert, entsprach exakt dem Ideal des neuen Stils.

Die Wiener Stadtbahnstation Karlsplatz und das Postsparkassenamt sind herausragende Beispiele für den österreichischen Sezessionsstil. Auch an diesen beiden Bauten treten die Materialien Stahl und Glas in den Vordergrund, während auf ornamentale Dekoration weitgehend verzichtet wurde.

Am eindrucksvollsten findet sich der Jugendstil in dem Gebiet der Innenarchitektur und Raumgestaltung wieder. Die Möglichkeit, einen Innenraum als Gesamtkunstwerk zu gestalten faszinierte die Jugendstilkünstler sehr. Besonders in Nancy, Frankreich, wo die Kunsthochschule Schule von Nancy starken Einfluss auf die Stilrichtung des Art Nouveau hatte, wurden um 1900 zahlreiche Villen errichtet und mit reich ornamentaler Innenausstattung versehen.

Das Besondere der neuen Kunstrichtung lag in der Verbindung verschiedener Künste und Handwerke. So wurde in der Architektur und in der Innenraumgestaltung die Verbindung zu Bildhauern und Kunsthandwerkern gesucht. Grundriss, Raumgliederung und Raumgestaltung waren während des Jugendstils genauso wichtig, wie Außenaufbau, Fassade und das Ornament.

Bildende Kunst
Auch im Bereich der Bildenden Künste tritt das Kunsthandwerk zur Zeit des Jugendstils an erste Stelle. Es geht, wie in der Architektur darum, dem Äußeren eine neue Schönheit zu verleihen. Die Glasarbeiten des französischen Künstlers Rene Lalique, vor allem seine reich verzierten Vasen und Schmuckstücke, die er unter anderem für die Schauspielerin Sarah Bernhardt anfertigte, gelten als vorbildliches Beispiel der Jugendstilkunst. Ihm tritt der Amerikaner Louis C. Tiffany zur Seite. Auch er betätigte sich im Bereich der Bildenden Künste. Unter anderem entwarf er die oftmals bewunderten Tiffany-Lampen, die in ihrer Ausprägung an Blumen erinnern.

In der Skulptur lässt sich kein absolut ausgeprägter Stil erkennen. Typisch für die Jugendstilskulptur ist aber, wie in allen Bereichen des neuen Stils, vor allem die Vorliebe für organisch schwingende Formen und Umrisslinien. Auch hier dominiert das jugendlich dekorative Element. Meist ist die Jugendstilplastik von kleinem Format. Sie wurde nicht nur von Bildhauern, sondern ebenfalls von Goldschmieden, Keramikern und Glaskünstlern angefertigt.

Zur Kleinplastik des Jugendstils zählen auch Kunstschmiedearbeiten, wie Medaillen und Schmuck sowie Besteck, Uhren und Keramikarbeiten. Das sanfte und dekorative Motiv der Jugendstilkunst findet sich in all diesen Plastiken wieder.

Die Bildende Kunst des Jugendstils wurde oftmals durch Lyrik und Musik beeinflusst, was den stimmungs- und gefühlvollen Ausdruck erklärt. Die Atmosphäre des Jugendstils war geprägt von Schönheit, Geheimnis und Stilisierung. In diesem Sinn wurden häufig auch Frauengestalten bildnerisch behandelt und oft in Verbindung mit Ornament und floralem Schmuck gezeigt. Die amerikanische Tänzerin Loie Fuller, die mit Tücher- und Schleiertänzen begeisterte und damit den Kern des Jugendstils traf, galt als Beispiel von Schönheit und ornamentaler Wandlungsfähigkeit. Sie diente vielen Jugendstilkünstlern als Vorlage für Gemälde und Plastiken.

Auf dem Gebiet der Malerei und insbesondere der Graphik wurde die junge, schöne Frau zum Ideal des Jugendstils erhoben. Der Franzose Henri de Toulouse-Lautrec verkörperte die Epoche der Jugendstilmalerei am eindrucksvollsten durch seine Zeichnungen der Frauen vom Montmatre in Paris.

Die Jugendstilgraphik zeigt sich häufig auch im Plakat, in der Werbung, in Zeitschriften sowie in Modezeichnungen und in Büchern, als Verzierung von Buchstaben.

Jugendstil in Deutschland
Der deutsche Jugendstil setzte sich als erstes in München um das Jahr 1894 durch. Jedoch erhielt der junge Stil erst zwei Jahre später, also im Jahr 1896, seinen Namen nach der neugegründeten Zeitschrift "Jugend". Alles begann damit, dass der Bildhauer und Naturforscher Hermann Obrist 1894 in München einige Stickereien ausstellte, die eine florale Ornamentik aufwiesen. München, dem Berlin bald den Rang streitig machte, blieb bis zum Ausklang des Jugendstils das Zentrum des floralen Stils.

Man unterscheidet im deutschen Jugendstil allgemein zwei Merkmale des Ornaments. Um 1900 vermischten sich diese beiden Stilrichtungen in einer kurzen Phase. Vor 1900 jedoch war die Jugendstilkunst von rein floraler Art, nach 1900 fast ausschließlich abstrakt gekennzeichnet. Der florale Stil charakterisiert sich durch eine leichte, zarte und feingliedrige Dekoration im meist kleinen Kunstgewerbe. Die Themen erinnern an Frühling und Märchen und sind geprägt von einer starken Nähe zur Natur. Neben Pflanzendarstellungen wurden häufig auch Motive aus der Tierwelt, insbesondere Vögel und Wassertiere abgebildet.

Die abstrakte, spätere Phase löst sich weitgehend vom Naturvorbild. Die geometrische Ornamentik gewinnt an Einfluss. Auch die geistige Idee des Jugendstils, die Reform der Kunst und des Handwerks, tritt in den Vordergrund und gipfelt 1907 in der Gründung des Deutschen Werkbundes, ein Bund zur Förderung von moderner Architektur und Design. Diese zweite Richtung des Jugendstils steht vor allem unter dem Leitbild, das der belgische Künstler Henri van de Velde, der in Deutschland lebte und arbeitete, vorgab.

Die Künstler des Jugendstils neigten zu Arbeitszusammenschlüssen. Auf Veranlassung des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen entstand auf der Mathildenhöhe in Darmstadt 1899 die berühmte Darmstädter Künstlerkolonie. Die Künstler waren dazu angehalten, moderne Kunst im Sinne des Jugendstils zu schaffen. Hieraus entstanden zum Beispiel 1902 das oben genannte Prinzessinnenhaus im Park von Schloss Wolfsgarten, der Hochzeitsturm von 1907/08 auf der Mathildenhöhe und das Ernst-Ludwig-Haus, erbaut ebenfalls auf der Mathildenhöhe zwischen 1899 und 1901.

Weitere bedeutende Jugendstilbauten sind unter anderem in Augsburg die Synagoge und das alte Stadtbad, der Hohenhof in Hagen, in München das Müllersche Volksbad, das Krematorium in Stuttgart und die Villa Huesgen sowie die Kellerei Kayser in Traben-Trarbach an der Mosel.

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