Tschernobyl

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Der Reaktorunfall von Tschernobyl von 26. April 1986 in der damaligen Sowjetrepublik Ukraine ist neben dem Unfall von Fukuschima in Japan die schlimmste und folgenreichste Reaktorkatastrophe weltweit.
Nicht zuletzt wegen der beiden Katastropen wird in Deutschland Ende 2022 das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet.

Der Reaktor

Der Reaktor von Tschernobyl liegt in der Nähe von Pripjatj (4 km) - und ca. 130 km nördlich von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Die Anlage von Tschernobyl bestand aus vier gleichartigen Druckwasser-Reaktorblöcken. Jeder Reaktor war mit rund 180 Tonnen angereichertem Uran bestückt. Die Leistung eines Blocks betrug rund 1.000 MW Megawatt). Der erste Reaktorblock wurde 1977 und der letzte - der Unglücksblock - 1984 in Betrieb genommen. Die vier Reaktorkerne waren wie folgt aufgebaut:

In einem massiven rund 7 m hohen zylinderförmigen Graphitblock und einem Durchmesser von 12 m waren 1693 Röhren mit einer Länge von 7 m und einem Durchmesser von 9 cm und einer Wandstärke von 4 mm eingelassen. In diesen Röhren befanden sich jeweils 18 Brennstäbe mit auf 1,4% angereichertem U 235. Diese Röhren wurden von unten her mit "normalen" Wasser umspült. Auf seinem Weg nach oben erhitzte sich das Wasser auf rund 285°C. Dabei wurde aus dem Wasser Wasserdampf, das über Rohrsysteme zu Turbinen geführt wurde und mit deren Hilfe Generatoren zur Stromerzeugung betrieben wurde. Der Graphit diente mit dem Wasser der Moderation, also Abbremsung der schnellen Neutronen. Zusätzlich befanden sich zur Steuerung des Neutronenflusses 179 Steuerstäbe aus Bor oder Cadmium in dem Reaktorblock. Der gesamte Reaktorblock war von einem Metallmantel umgeben, innerhalb dessen sich ein Helium-Stickstoffgemisch befand, das verhindern sollte, dass der brennbare Graphitblock mit Sauerstoff in Kontakt kommen konnte und dann in Brand geraten konnte. Unter Fachleuten galt dieser Reaktor bereits vor dem Unfall als hochproblematisch

Der Unfall

Am 26. April 1986 kam es im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks von Tschernobyl zu dem bis heute schwersten Unglück bei der zivilen und friedlichen Nutzung der Kernenergie. Der Unfall entstand infolge eines Experiments am Turbinen-Generatorsatz der Kraftwerksanlage. Durch eine Anzahl von darauf folgenden Bedienungsfehlern, die bis zu einer Überbrückung von Abschaltsignalen führte, kam es zu einem extremen Leistungsanstieg - bis etwa dem Hundertfachen der Nennleistung. Infolge der Überhitzung des Reaktors konnten u.a. die verzogenen Steuerstäbe nicht mehr in den Reaktor eingefahren werden, sodass er endgültig "durchging". Infolge der Kernschmelze wurde der Metallmantel sowie die Betonhülle des Reaktors zerstört - zudem gerieten Teile des Graphitmoderators und der Anlage in Brandt.

Die dabei freigesetzte Menge von ca. 8 Tonnen Brennstoff führte zur Freisetzung von Radionukliden mit einer Aktivität von ca. 12 · 1018 Becquerel. Im Einzelnen wurden dabei folgende Radionuklide freigesetzt. Die Werte der folgenden Tabelle wurden einer Veröffentlichung der UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) von 2008 entnommen, die 2011 von der UNO veröffentlicht wurde.

Radionuklid Halbwertszeit Freigesetzte Aktivität
Krypton 85 (Kr 85) 10,72 Jahre 33 PBq (1 PBq = 1015 Bq)
Strontium 89 (Sr 89) 50,5 Tage 115 PBq
Strontium 90 (Sr 90) 29,12 Jahre 10 PBq
Zirkonium 95 (Zr 95) 64 Tage 84 PBq
Molybdän 99 2,75 Tage >72 PBq
Rubidium 103 (Ru 103) 39,3 Tage 168 PBq
Rubidium 106 (Ru 106) 368 Tage 73 PBq
Tellur 129m (Te 129m)* 33,6 Tage 240 PBq
Tellur 132 (Te 132) 3,26 Tage 1.150 PBq
Jod 131 (J 131) 8,04 Tage 1.760 PBq
Jod 133 (J 133) 20,8 Tage 910 PBq
Xenon 133 (Xe 133) 5,25 Tage 6. 500 PBq
Cäsium 134 (Cs 134) 2,06 Jahre 47 PBq
Cäsium 136 (Cs 136) 13,1 Tage 36 PBq
Cäsium 137 (Cs 137) 30 Jahre 85 PBq (1 PBq = 1015 Bq)
Barium 140 (Ba 140) 12,7 Tage 240 PBq
Cer 141 (Ce 141) 32,5 Tage ca. 84 PBq
Cer 144 (Ce 144) 284,9 Tage ca. 50 PBq
Neptunium 239 (Np 239) 2,35 Tage 400 PBq
Plutonium 238 (Pu 238) 87,74 Jahre 15 TBq (1 TBq = 1012 Bq)
Plutonium 239 (Pu 239) 24.065 Jahre 13 TBq
Plutonium 240 (Pu 240) 6.537 Jahre 18 TBq
Plutonium 241 (Pu 241) 14,4 Jahre ca. 2,6 PBq
Plutonium 242 (Pu 242) 376.000 Jahre 0,04 TBq
Curium 242 (Cm 242) 18,1 Jahre ca. 0,4 PBq

* m = metastabil

Die Folgen

Die Brände außerhalb des Reaktorgebäudes und am Maschinenhaus wurden von den Einsatzkräften in wenigen Stunden gelöscht. Die dabei eingesetzten Menschen wurden dabei teilweise einer Dosis von geschätzten 16 Gray ausgesetzt. Die absolut tödliche Dosis liegt bei 5-7 Gray. Um aber auch das Feuer des Moderatorgraphits im Reaktor zu ersticken und zur Eindämmung der Unfallfolgen wurde der Unglücksblock in den folgenden Tagen aus der Luft mit insgesamt 5.000 Tonnen Blei, Sand und Lehm zugeschüttet. Bis November 1986 wurde der Reaktorblock mit meterdickem Beton zugeschüttet. Diese Betonhülle wurde sarkastisch als Sarkophag bezeichnet.

Die am Unglückstag freigesetzten Radionuklide gelangten aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Windrichtung vorwiegend in norwestliche Richtung und erreichten am 28. April Schweden. Die dort festgestellte starke radioaktive Aktivität war im Westen der erste Hinweis auf den Unfall in der heutigen Ukraine, die damals Teil der Sowjetunion war. Da die Sowjets anfangs keinerlei Nachrichten über das Unglück herausgaben, dachten die schwedischen Kraftwerksbetreiber zuerst, dass bei ihnen ein Fehler aufgetreten sei. Aufgrund der veränderten Windverhältnisse gelangte die Emission des 27. April nach Polen und die vom 29. und 30. April über den Balkan nach Mitteleuropa. Am 29. April wurde auch die Bundesrepublik Deutschland erreicht.

Wegen der verschiedenen meteorologischen Bedingungen waren die Aktivitätsmengen in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik sehr unterschiedlich. So war der Norden und Westen deutlich geringer betroffen als der Süden und Südosten. Besonders Bayern war daher stark betroffen
Die eingeatmeten Radionuklide waren fast ausschließlich durch die Aktivität der Luft in der Zeit zwischen dem 1. bis 5. Mai 1986 bestimmt.
Die durch Ingestion (= Essen und Trinken) aufgenommenen Radionuklide waren nahezu ausschließlich Jod 131 (Halbwertszeit = 8 Tage), Cäsium 134 (Halbwertszeit = 2,1 Jahre) und Cäsium 137 (Halbwertszeit = 30,2 Jahre). Die Strahlenexposition in den folgenden Jahren war glücklicher- und verständlicherweise merklich geringer als im ersten Jahr nach dem Unfall.

Die zusätzliche Strahlenbelastung durch den Unfall betrug in Deutschland für Kleinkinder für das Jahr 1986 bis zu 0,6 mSv für einige Regionen im Voralpengebiet. Wenn man die Dosis aufgrund der über das ganze Leben aufgenommenen Tschernobyl-Strahlung angibt, so ergibt sich eine Lebensaltersdosis von maximal rund 2,4 mSv für die Menschen, die zum Unfallzeitpunkt Kleinkinder waren. Für damals Erwachsene ist diese Dosis etwas geringer. Besonders betroffen von einer Kontamination waren in Deutschland noch viele Jahre später Pilze, Beeren und Wildtiere.

Die Strahlenbelastung in der rund 4 km entfernten Stadt Pripyat mit etwa 43.000 Einwohnern erreichte am Tag nach dem Unfall Dosiswerte bis zu 6 mSv/h mit regionalen Spitzenwerten von 2 Sv/h. Die Leitnuklide waren dabei Jod 131 und Cäsium 137 mit einer Halbwertszeit von rund 30,2 Jahren. Daher waren die Menschen dort nach z. B. 48 Stunden im Mittel einer Strahlenbelastung von über 300 mSv ausgesetzt. Die Bevölkerung von Pripyat wurde endlich am 27. April innerhalb von drei Stunden evakuiert und konnte bis heute nicht mehr dorthin zurückkehren. In den nächsten Tagen wurden dann weitere 90.000 Personen aus einer 30-km-Zone um den Unglücksreaktor evakuiert.
Die 10-km-Zone um den Reaktor wird für sehr lange Zeit weder bewohnbar noch irgendwie landwirtschaftlich genutzt werden können. Über die landwirtschaftliche Nutzung - aber ohne eine dauerhafte Besiedlung - der Zone zwischen 10 bis 30 km wird erst in Zukunft entschieden. Zur Zeit können rund 780.000 ha = 7.800 km² weder bewohnt noch landwirtschaftlich genutzt werden.


Es wurde es später bekannt, dass nach der ersten Explosion eine zweite sehr viel gefährlichere gedroht hatte, da das extrem heiße "Magma" in das unter dem Reaktor befindliche Löschwasser zu geraten drohte. Eine derartige Explosion hätte die Gewalt von ca. 1 Megatonnen TNT gehabt und hätte Teile Europas unbewohnbar gemacht. Um dieses Wasser abzupumpen, wurden zahlreiche Menschen eingesetzt, die fast alle später vertarben. Um den Reaktor aber zuverlässig zu stabilisieren wurden zusätzlich 600 Piloten eingesetzt, die auf den zerstörten Reaktor Beiplatten abwarfen. Von ihnen hat keiner überlebt. Zudem wurden ab dem 13. Mai rund 10.000 Bergleute eingesetzt - z.B. aus Tula - die in 1 Monat und 4 Tagen einen 150 m langen Tunnel unter den Reaktor gruben, um komplexe Kühlsysteme unter dem Reaktor zu installieren. Das geschah aber nicht und man füllte stattdessen einen Hohlraum unter dem Reaktor mit Beton. Die eingesetzten Bergleute erhielten offiziell Dosen zwischen 30 bis 60 mSv - inoffiziell ging man von bis dem Fünffachen aus. Von ihnen starben ca. 2.500. Auf dem Dach wurden die stark radioaktiven Graphitteile von 3.500 Soldaten entfernt. Die Strahlenbelastung betrug dabei bis zu ca. 7 Sv/h - daher konnten die eigesetzten Soldaten dort nur wenige Minuten tätig sein. Nach sieben Monaten hatten insgesamt 500.000 Menschen (= Liquidatoren) den Sarkophag über den Unglücksreaktor fertiggestellt. Trotz Verbots leben in der "verbotenen Zone" einige 100 meist alte Menschen, die sich z.B. zu Ostern 2011 mit anderen in einer Kirche in der Verbotszone zu einer Ostermesse zusammenfanden.
Block 2 des Unglücks-Kraftwerks wurde im Oktober 1991 endgültig abgeschaltet, Block 1 dann im November 1996. Und am 15. Dezember 2000 wurde endlich auch Block 3 als letzter Reaktorblock in Tschernobyl abgeschaltet

Die Anzahl der Toten und Krebserkrankungen infolge des Unfalls schwanken von Autor zu Autor bis heute - teilweise erheblich. Wahrscheinlich kamen bis heute mehrere Zehntausend Menschen ums Leben. Etwa 200.000 von den Liquidatoren gelten als behindert, viele sind an Krebs erkrankt.

Schilddrüsenkrebs
In den von der Strahlung betroffenen Gebieten der Ukraine und Weißrusslands kam es in den Folgejahren bei Kindern und Jugendlichen zu einem deutlichen Anstieg von Schilddrüsenkrebserkrankungen. Der Grund dafür war die starke Aufnahme des radioaktiven Jod 131 - mit einer Halbwertszeit von rund 8 Tagen. Jod lagert sich bekanntlich besonders stark in der Schilddrüse an und führt daher dort zu hohen Strahlendosen. Es wurden von der UNSCEAR offiziell 6.850 Schilddrüsenkrebsfälle registriert, von denen viele in Deutschland erfolgreich behandelt werden konnten. Die extrem häufige Auftreten von kindlichem Schilddrüsenkrebs hatte alle Fachleute überrascht, da die Häufigkeit absolut nicht mit den bisherigen Wahrscheinlichkeiten übereinstimmten.
Es sei erwähnt, dass es in den betroffenen Regionen bis heute noch zu erhöhten kindlichen Schilddrüsenkrebs kommt. Auch wurde aus den dortigen Krankenhäusern von einer großen Zahl an missgebildeten KIndern berichtet.

Tschernobyl heute

Wie erwähnt sind große Teile der Gebiete um den Reaktor auch 30 Jahre nach dem Unfall unbewohnt, da erst etwas mehr als die Hälfte des radioaktiven Cäsiums 137 zerfallen sind. Aber mittlerweile werden geführte Touren in die Umgebung des Reaktors angeboten. Dabei können Eintagestouren oder Touren mit Verkostung und Übernachtuung auch von Ausländern gebucht werden. Außerhalb der Ukraine sind einige Regionen immer nach einer erhöhten Strahlenbelastung des mittlerweile im Boden befindlichen Cäsiums ausgesetzt. Besonders in Teilen von Bayern sind Pilze und Tiere die sie fressen nicht oder nur begrenzt zum Verzehr zugelassen

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